Als der Startschuss fällt, kann Ulrich Liebert, Cheforganisator vom MSC Ruhr-Blitz Bochum, endlich durchatmen. Es ist der 3. September 2016, ein Samstag, kurz nach 12 Uhr. Das „ROWE 6 Stunden ADAC Ruhr-Pokal-Rennen“ auf dem Nürburgring läuft – und nun hat Ulrich Liebert den Stab der Verantwortung weitergereicht; an Institutionen wie die Rennleitung oder die Race Control und nicht zuletzt an die Piloten in den Rennwagen. Alles ist monatelang für diesen Renntag vom MSC Ruhr-Blitz – quasi für sein Bochumer „Heimspiel“ auf dem Nürburgring – organisiert worden, und die Renn-Maschinerie läuft nun. Wie geschmiert – aber nur fast von selbst.
Nils Rimkus vom Stadtsportbund Bochum wagt beim Riesenspektakel einen Blick hinter die Kulissen.
Das „ROWE 6 Stunden ADAC Ruhr-Pokal-Rennen“, das der MSC Ruhr-Blitz Bochum ausrichtet, ist der 7. Lauf der VLN Langstreckenmeisterschaft. Diese VLN-Rennserie – VLN ist die Abkürzung von „Veranstaltergemeinschaft Langstreckenmeisterschaft Nürburgring“ – umfasst zehn Rennen, die übers Jahr verteilt auf dem Nürburgring stattfinden und mit Ausnahme des sechsstündigen Ruhr-Blitz-Rennens über 4 Stunden laufen. Die Rennstrecke besteht aus der Nordschleife und der Sprintstrecke des Grand-Prix-Kurses Nürburgring; jede Runde der kurven-, kuppen- und gefällereichen Strecke ist 24,358 km lang. Die Clubs, die sich in der Veranstaltergemeinschaft zusammenschließen, schreiben die VLN-Langstreckenmeisterschaft seit 1977 aus, und das Rennen hat sich zur erfolgreichsten Breitensportserie Europas entwickelt. An den Start gehen unterschiedlichste Fahrzeuge – vom serienmäßige Auto bis zum Rennwagen – in diversen Klassen, wobei jedes Fahrzeug von mehreren Piloten im Wechsel gesteuert wird.
Das Spektakel selbst beginnt am Samstag in den Morgenstunden. Beim Zeittraining, das früh um 8 Uhr losgeht, werden – wie bei der Formel 1 auch – die Positionen im Starterfeld "ausgefahren". Dann, gegen 11 Uhr, strömen Tausende Fans in die Boxengasse und auf die Rennbahn: Beim sogenannten Pitwalk sind sie den Akteuren und den Rennmaschinen ganz nah. Man inhaliert tatsächlich das pure Renn-Feeling, wenn man zuschauen kann, wie die Boliden startklar gemacht werden, wie sie aus den Boxen geschoben werden, wie die Piloten in ihren Sitzen verzurrt und alle Kommunikationschecks durchgeführt werden. Es durchzuckt förmlich die Menge, wenn die Motoren angeworfen werden und jeder der knallbunten, mit Hunderten Logos und Schriftzügen stilvoll zugekleisterte Rennwagen durch die Menschenmenge gelotst wird und langsam zur Startaufstellung rollt … Hier hängt schon ein echter Thrill in der Luft; die Spannung bei Teams, Fahrern und Fans steigt rasant. Schließlich sind alle Fans von der Piste geeilt und haben ihren Stiz auf der Tribüne oder den Lounges eingenommen. Punkt 12 Uhr – High Noon – fällt der Startschuss!
Beim 6-Stunden-Rennen des MSC Ruhr-Blitz, das als Saisonhöhepunkt gilt, starten 163 Fahrzeuge mit 456 Fahrern – darunter 10 Frauen – aus 28 Nationen in 27 Rennklassen. Verfolgt wird das Rennen von bis zu 45.000 Zuschauern. Die gesamte Organisation des Mammutprojekts erledigt der MSC Ruhr-Blitz unter Organisationsleiter – so auch der offizielle Titel – Ulrich Liebert. „Unsere Vorbereitung beginnt Monate vor dem Rennen“, sagt Liebert. Er kann sich dabei nicht nur auf Ehefrau Silva und Sohn Timo verlassen, sondern auch auf sein 40-köpfiges Team vom MSC Ruhr-Blitz – das wiederum 500 weitere Helfer einsetzt. Darunter Ingenieure, Ärzte, Techniker … und alle sind ehrenamtlich tätig!
Wenige Tage vor Rennbeginn reisen die Rennteams mit ihren Trucks an und bauen in Windeseile das Fahrerlager auf. Derweil haben die Ruhr-Blitz-Helfer schon tonnenweise Material und räumefüllende Technik herbeigeschafft und die Manpower bereitgestellt: vom Rennleiter über den Rennarzt bis zu den Streckenposten – alles führt der Bochumer Motor-Sport-Club zusammen. Ein wichtiger Ort vor Rennbeginn ist die Dokumentenabnahme. Donnerstag und Freitag prüft das Ruhr-Blitz-Team hier, unter der Leitung vom MSC-Vorstand Horst-Helmuth Bube, ob die Fahrer über gültige Lizenzen verfügen und das Nenngeld (Startgeld) gezahlt haben. Sie registrieren die Rennteilnehmer und statten sie mit GPS-Transpondern aus. Die ermöglichen eine genaue Zeitnahme, die wiederum in einem mit Computern, Servern und Monitoren bestückten Raum von drei Fachleuten, die auch alle Ergebnislisten für die 27 Klassen ausarbeiteten, geleistet wird. Auch die technischen Prüfungen – sind Fahrzeuge, Helme, Kleidung usw. vorschriftsmäßig? – übernehmen Technische Kommissare, die der MSC Ruhr-Blitz stellt bzw. organisiert. Am Freitagabend vor dem Rennen – und für die Nachzügler am Samstagmorgen ein zweites Mal – werden die Fahrer im großen Saal des „Media Center“ von Rennleiter Frank Taller gebrieft – zweisprachig, versteht sich.
Ulrich Liebert: „Größter Wert wird auf die Sicherheit von Fahrern und Zuschauern gelegt!“ Abgesehen vom Briefing und den technischen Prüfungen: Die 370 Helfer auf den 240 Streckenposten sowie die 30 Helfer in der Boxengasse erhalten bei der frühmorgendlichen Ausgabe vom Ruhr-Blitz-Team 400 Feuerlöscher, ebenso viele Besen und dazu 50 Sack à 50 Kilogramm an Bindemitteln für Öl oder Kühlflüssigkeit. Jeder Streckenposten ist speziell geschult in Erster Hilfe, Rettungsmaßnahmen und den Feuerlöscheinsatz. Er verfügt über ein Funkgerät, kann aber auch auf das Nürburgring-eigene Telefonsystem zurückgreifen und unterweist die Rennfahrer per Flaggensignal; etwa ob ein schnelleres Fahrzeug zum Überholen ansetzt oder Gefahr droht.
Passiert ein Unfall – beim Rennen am Samstag geschieht zum Glück nichts –, laufen alle Fäden in der Race-Control zusammen. Das ist ein Raum, der wie die kleinere und dunklere Version des „Mission Control Center“ in Cape Canaveral aussieht, von dem aus die Apollo-Raumflüge koordiniert wurden. In den aufsteigenden Sitzreihen vor einer riesigen Monitor-Wand sitzen die Vertreter und der Leiter der Streckensicherung, die Telefonüberwachung, die Koordinatoren der Rettungs- und Abschleppfahrzeuge, die medizinische Einsatzleitung und ein Polizeivertreter. Zur Not können 9 Ärzte, 25 DRK-Helfer, 10 Helfer im Medical Center und natürlich Rettungs- und Feuerwehrwagen sowie ein Rettungshubschrauber in Bewegung gesetzt werden.
Gibt es während des Rennens Probleme mit Sicherheits- oder Regelverstößen oder – interessant! – der Lautstärke, die ein Rennwagen produziert, ist die Rennleitung gefragt. Sie entscheidet wie ein Schiedsgericht im Konfliktfall und verfügt über eine Direktverbindung zum Bundesamt für Schallschutz in Berlin: dröhnt der Renner zu laut, ist schnell eine Strafe verhängt, die locker 5000 Euro betragen kann. Am Samstag erwischt es einen Rennboliden, der prompt aus dem Rennen gezogen wird.
Noch während das Rennen läuft, beginnen die Aufräumarbeiten. Auch dies, wie das Stellen der Pokale – einen solchen erhält jeder Fahrer im Team, das einen Wagen auf Platz 1, 2, oder 3 fährt –, das Feuerwerk bei der Siegerehrung und das Catering organisiert der MSC aus Bochum. „Uns kostet ein Rennen rund 100.000 Euro“, sagt Ulrich Liebert. „Wir decken diese Kosten durch die Nenngelder der Rennteams.“ Das „Urgestein“ Liebert ist seit Jahrzehnten bei den VLN-Rennen dabei. 1982 erhielt er seine Lizenz als Sportkommissar und ist in der juristischen Überwachung der Veranstaltung zuständig. Logischerweise kennt er im Rennzirkus so gut wie jeden. Deshalb hilft bei jeder Rennausrichtung seine Routine – aber anstrengend und fordernd, aber eben auch im positiven Sinne aufregend ist es immer wieder.
Der Gang durch die Kulissen offenbart, wie viel Know-how, Organisationstalent und Technik nötig ist, um das Renn-Event durchzuführen. Beeindruckend! Schaut man dann aus dem "Gehirn" des Rennens wieder aufs Geschehen selbst – auf das Rennen auf dem Nürburgring –, erlebt man ein rasantes Spektakel. Schon ein Schlendern ins Fahrerlager und durch die Boxen mutet an wie ein Spaziergang durch die moderne Variante eines mittelalterlichen Zeltlagers bei Ritterspielen. Alles montiert, wuselt, diskutiert oder versucht, sich im Getümmel zu konzentrieren.
Dann die Helden selbst – die Piloten: In ihren Sicherheitsanzügen muten sie wie Astronauten in ferner Mission an, steigen in ihre hochgezüchteten PS-Boliden und rasen dann mit brüllenden Motoren und qualmenden Reifen wagemutig über eine beängstigend schwierige Piste. Das hat seinen Reiz, dem man sich kaum entziehen kann. Im Nu wird man vom Fieber namens Rennzirkus infiziert.