Die 200 Meter waren seine Strecke, und er hat lange mitgemischt im deutschen Sprint-Zirkus – nun beendet er seine Karriere als Leistungssportler: Der Wattenscheider Sebastian Ernst hängt die Spikes an den Nagel.
Und es sind keine körperlichen Wehwehchen, die den Deutschen Hallenrekordler bewegen; der 31-Jährige ist inzwischen voll berufstätig bei der Bundespolizei, und die kräftezehrenden Wechselschichten lassen ihm kaum noch Spielraum für den Leistungssport, was sich in diesem Jahr deutlich gezeigt hat.
„Es war eine sehr schöne Zeit“, sagt der gebürtige Gelsenkirchener, „und ich würde sie niemals eintauschen wollen. Danke an meinen Vater, meine Freundin und den TV Wattenscheid, die sehr viel für mich getan und mir meinen Weg erst ermöglicht haben. Ich würde auch fast alles noch mal genauso machen – nur vielleicht früher vom Fußball zur Leichtathletik wechseln.“
2003 feierte Ernst einen ersten ganz großen Erfolg – er wurde Junioren-Europameister. Ein Jahr später folgte dann das Ereignis, das er heute als Karriere-Highlight bezeichnet: Olympia in Athen – und der Junge aus Gelsenkirchen schafft es bis ins Halbfinale, nur um im Anschluss die Fernsehnation daheim mit erfrischend ehrlichen Interviews zu erfreuen. „Ich bin auf dem letzten Notgroschen dahin gefahren und habe meine Chance genutzt“, sagt Ernst rückblickend. Vielleicht, räumt er heute ein, kam dieses ganz große Highlight ein bisschen zu früh in seiner Laufbahn. Seine 200-Meter-Bestzeit von Athen (20,36 sec) konnte er nie wieder verbessern. Und doch gab es weitere bemerkenswerte Stationen. Die Nummer zwei in den persönlichen Charts des Wattenscheiders: der Deutsche Hallenrekord über 200 Meter, den er am 27. Februar 2011 auf 20,42 Sekunden steigerte. Fast noch wichtiger ist Ernst aber, dass er seinerzeit endlich mal Deutscher Hallenmeister war. „Ich war so oft Zweiter, meist ganz knapp hinter Alexander Kosenkow“, sagt der frühere Schalker heute, „da hat mir der Titel einfach mal zugestanden!“
Durch den Leistungssport, erklärt Ernst, habe er die Welt gesehen: „Es hat sich gelohnt. Ich war bei Olympia, EM und WM. Ich war Deutscher Meister und durfte als Junioren-Europameister auch die Hymne hören.“ Er räumt ein, dass nicht jede seiner Entscheidungen ein Volltreffer war: „Ich habe nicht alles richtig gemacht, vor allem hätte ich früher zu André Ernst wechseln sollen.“ Der Wattenscheider Namensvetter war der Coach, der offenbar ideal zu dem Sprinter passte, der in diesem Jahr noch mal Deutscher Hallenmeister mit der 4x200-Meter-Staffel des TV 01 war. Aber auch seiner ersten Trainerin Andrea Flaßkamp hat Sebastian Ernst viel zu verdanken.
Der Wattenscheider will dem Sport natürlich treu bleiben und könnte seine Visitenkarte demnächst auf längeren Strecken abgeben: „Ich halte mich fit und trete vielleicht im nächsten Jahr beim Stadtwerke-Lauf an!“ Dabei meint Ernst die zehn Kilometer, der Bochumer Halbmarathon wäre auf keinen Fall etwas für ihn. Bei der Bundespolizei ist er inzwischen vom Düsseldorfer Flughafen an den Essener Hauptbahnhof versetzt worden, aber das liegt ihm. Und er begründet das auf seine unverwechselbar ehrliche Art: „Da ist einfach mehr los.“